Lucy, Gleis 3


Ein Bahnhof. Innenraum einer Psyche. Fünf Menschen, allesamt Absplitterungen eines Menschenkonstrukts namens Lucy, begegnen sich, immer wieder, ohne einander nahezukommen. Ein Gleis, ein Warteraum. Die Frage: was passiert, wenn ein Mensch Gewalterfahrungen macht, ohne daran zu sterben? Was ist Dissoziation? Was tut der Geist, während sein Körper verstümmelt wird? Er spaltet sich auf. Man beginnt sich zu beobachten. Man braucht den Anderen in sich, um ihm sagen zu können, dass man ihn nicht braucht. Man wird brutal gegen sich, gegen andere. Man redet, ohne mit jemandem zu reden. Versucht zu lieben, versucht wegzulaufen. Und ist doch nur froh, wenn endlich einmal Ruhe ist, Ruhe im Gewaltbetrieb, Ruhe im Kopf.


Lucy, Gleis 3


Personen

Frau1 (erwachsene Frau)

Mann1 (Mann mit Hut)

Lucy

Mann2 (Mann in Warteraum)

Frau2 (ältere Frau hinter der Theke)


Orte

Bahnhofsbank

ein Warteraum an Gleis 3 mit Cafébetrieb

im Grünen


1

[Bahnhof außen, Frau1 und Mann1 auf einer Bank]


Frau1:

Wer versteht schon, was da passiert? Zehn Finger an dem einen Körper.

Zwei Arme an dem anderen.

Zwei Rümpfe klatschen nackt gegeneinander.

Ein Kopf schwebt schnaufend

überm Rattern anstürmender Orgasmusfreuden, der andere liegt auf der Schiene,

die Ohren in Schallschutz gebettet.

Die Dampflok rast schwitzend über den offenen Mund.

Verstand kehrt zurück und kehrt sogleich

das Erlebte mitsamt den Körperresten in den Müll.


Mann1:

Jedes Mal diese Schweinerei.


Frau1:

Wenn der Körper auch schon zigmal zerhackt und zerfahren wurde, etwas bleibt, was sich jedes Mal rechtzeitig davon gemacht hat.

Das irrt dann irgendwo im Raum umher und vertreibt sich die Wartezeit, bis es sich die Körperteile einzeln wieder zusammenklauben kann.

Meistens passen sie nicht mehr recht und es braucht eine Weile, bis ein Ganzes wieder daraus wird.

Was macht dieses Etwas, während es sitzt und wartet? Was tut der Geist, während sein Körper verstümmelt wird?

Wie kann er so unbeteiligt auf der Holzbank hocken

und den Minutenzeiger hüpfen sehen, von Strich zu Strich?

Wie kann er sich einen Kaffee holen

und ein Päckchen Zucker hineinschütten, während der Zug heranprescht?

Wenn der Zug angekommen ist, setzt er seinen Hut auf den Kopf und geht.

Geht in die Richtung, aus der der Zug kam.

Geht am Gleis entlang.

Denn dort müssen irgendwo die Überreste seines Körpers liegen.


Mann1:

Ich kenne den Anblick...

er ist jedes Mal ein wenig anders, aber doch immer vertraut.

Ich bekomme keinen Schock.

Ein Schock ist etwas Körperliches. Der Körper ist ja schon kaputt.

Ich sehe die Teile dort herumliegen und beginne sie einzusammeln.

Schau da: ein Finger. Und hier: die halbe Hand

Der Kopf ist meist zertrümmert, aber das wird schon wieder.

Ich habe meinen blauen Plastiksack dabei,

in den hinein die Körperteile geworfen werden.

Es dauert einige Zeit, bis ich sie alle zusammen habe. Es drängt keiner.

Manchmal suche ich Stunden nach dem letzten Teil, einem Augenlid oder einer Brustwarze.

Aber ich finde schließlich immer alles zusammen.

Dann nehme ich den schweren Sack und schlüpfe hinein, dann erst fängt es an, weh zu tun.


Frau1:

Dann ist es dunkel, dann riecht es nach Blut,

dann versuchen Arme und Beine ihre Richtung wieder zu finden, Kopf und Augen drehen sich schmerzhaft so lange,

bis sie wieder zueinander passen,

es ist ein infernalisches Gestöhn in dem blauen Sack und wenn man von außen zuschaut, kriegt man Angst, man denkt, da drinnen gärt ein Ungeheuer,

so bestialisch ist der Aufruhr von Gliedmaßen im Innern. Dann flüchtet man am besten schnell,

so schön ist das nicht, was jetzt daraus hervorkommt:

Eine falsch zusammengesetzte Puppe, blutig, mit zerzaustem Haar. Sie versucht zu gehen, obwohl alles krumm und schief ist,

es hängt alles lose aneinander wie vom Metzger schlecht getrennt. Das Gesicht lächelt unaufhörlich.

Die Zöpfe sind albern und zerfranst.

Man lässt das große Kind, das nichts sieht, an sich vorbeitorkeln.

Man lässt das missratene Wesen am Gleis entlang in Richtung Bahnhof spazieren,

denn da ist Leben.


[Mann1 steht auf und geht, Frau1 steht auf und geht]


2

[im Wartesaal; Frau2 zwischen Küche und Theke, Mann2 an Theke]


Frau2:

Der fünfte Kuchen heute.


Mann2:

Tüchtig. Sie sind wirklich tüchtig.


Frau2:

Und alle nach Spezialrezept. Die kriegen sie sonst nirgends.

Nirgendwo werden Sie so einen Sandkuchen bekommen wie bei mir. Meine Käsetorte ist eine Sensation.


Mann2:

Das sagen alle.

Aber mir ist im Moment nicht nach süß.

Machen Sie mir doch bitte noch einen. (deutet auf seine Kaffeetasse)


Frau2: Selbstverständlich, gerne.

Und, was Spannendes in der Zeitung?


Mann2 (liest Zeitung): Nein.

Glauben Sie, dass es irgendwo da draußen im Weltall Leben gibt?


Frau2:

Ich weiß ja nicht mal, ob es in meiner Nachbarwohnung Leben gibt, was soll es mich interessieren, ob im All welches existiert?

Wissen Sie, was ich neulich gelesen habe?

Forscher haben so einen Kühlschrank entwickelt, in dessen Innerem eine Lautstärke von 200 Dezibel herrschen soll, einen thermoakustischen Kühlschrank. Selbstverständlich dringt von diesem Lärm nichts nach außen, es handelt sich ja um ein geschlossenes System, es ist auch keine normale Luft da drin sondern Helium, aber 200 Dezibel, können Sie sich das vorstellen, das ist 100 000 mal Lauter als in einer Disco, haben die gesagt, ich meine, wie kann man auf so eine Idee kommen, das ist doch Wahnsinn! Also ich würde meine Torten nicht da rein stellen.


Mann2:

Haben ihre Torten denn Ohren?


Frau2:

Ohren vielleicht nicht, aber eine Seele. Sie haben eben noch keine probiert.

Möchten Sie nicht vielleicht doch ein Stück?


[Lucy betritt den Raum]


Mann2: Danke nein.


Frau2: Hallo Lucy.


Lucy: Hallo.


Frau2: Frierst du?

Magst du was Warmes trinken? Einen Tee?


Lucy: Ja.


[Frau 2 macht einen Tee, Mann2 liest weiter Zeitung]


Lucy:

Wie spät?


Mann2: Bitte?


Lucy:

Wie spät?


Mann2:

Fünf vor halb fünf.


Frau2: Da, bitte.


Lucy: Danke.


Frau2:

Deine Eltern kommen sicherlich bald.


Lucy: Ja.

(Lucy geht schwankend zur Toilette)


Mann2:

Was ist mit der?

Was soll denn dieser alberne Aufzug? Ist die irr?


Frau2:

Nein, die ist harmlos, nur ein bisschen... Kommt von Zeit zu Zeit hierher und wartet, bis irgendwer sie abholt – meistens ihr Vater.

Man muss sich eben ein bisschen um sie kümmern


Mann2:

Ist sie oft hier? Ich habe sie noch nie gesehen.


Frau2:

Was heißt oft. Öfters halt.


(Lucy kommt von der Toilette zurück, übertrieben geschminkt)

Mann2 steht auf und geht am Automaten Zigaretten holen. Lucy setzt sich an die Theke, auf den Stuhl des Mannes

Mann kommt zurück, bleibt stehen, setzt sich dann auf Stuhl neben sie.)


Lucy:

Können Sie mir eine Zigarette geben?


Mann2:

Ja, sicher, bitte.

(gibt Lucy eine, zündet sich eine Zigarette an, hält Lucy das Feuerzeug hin, aber sie reagiert nicht)

Und Sie warten auf jemanden?


Lucy:

Ja. Sie nicht?


Mann2:

Nein, nicht direkt.


Lucy:

Gefall ich Ihnen?

Wollen Sie mich küssen?


Frau2:

Lucy, bitte. Lass den Herrn doch in Ruhe. Soll ich deinen Vater anrufen?


Lucy (unbeirrt zum Mann): Fass mal an.

(Mann steht auf nimmt seine Tasse und setzt sich an einen anderen Tisch.)


Lucy:

Sie wollen gar nicht. Stimmt’s? Aber erst hat er so nett getan.


Frau2:

Und wie war’s bei der Oma? Wieder schön?


Lucy:

Ich war gar nicht bei Oma. Meine Oma ist tot.

Du weißt doch, dass ich nicht zur Oma fahre.


Frau2:

Aber Lucy, was sagst du denn da?


Lucy:

Warum nennen meine Eltern es immer ‚zur Oma fahren’?


Frau2:

Magst du ein Stück Kuchen, Kind? Den magst du doch so gern.


Lucy: Nein.


Frau2:

Setz dich hin und iss.


Lucy:

Ich mag aber jetzt nicht essen.


Frau2:

Du isst jetzt!

Iss!

(Lucy benimmt sich komisch)


Frau2:

Lucy, es reicht jetzt wirklich.

Bitte, geh nach draußen, setz dich draußen auf die Bank, ich ruf deinen Vater an, dass ...

oder besser, du nimmst gleich ein Taxi. Machst du das?

(Lucy reagiert nicht)

Dann geh in die Küche, Lucy, da ist Geschirr zum Abspülen.


Lucy:

Warum darf ich nicht hier bleiben wenn andere da sind?


Frau2: Bitte!


Lucy (mit wachsender Erregung): Weil ihr hier rumfickt.

Weil ihr mit denen rumfickt!

Man riecht das ja, wenn man reinkommt! Das stinkt! Das stinkt!!

So wie ihr stinkt!!

Das stinkt nach Pimmel!!


Frau2: Lucy!


Mann2:

So. Jetzt reicht’s.

Länger hör ich mir das nicht mehr an.


Frau2:

Ab in die Küche.


Mann2:

Das ist ja schrecklich, diese Ausdrücke, wie hält man das aus mit ihr?


Frau2:

Es ist so widerlich.

Ich lasse sie bald nicht mehr herein.

Man muss sich ja schämen, wenn sie da ist.


Mann2:

Am besten immer gleich in die Küche.


Frau2:

Dass sich die Eltern da nicht drum kümmern, am besten wäre ja doch ein Heim.


Mann2:

Oder ein Heim. Ja, das wäre wohl das Beste. SIE können ihr sicherlich nicht helfen.


3

[Im Wartesaal. Mann1, Frau1, Mann2, Frau2, jeder mit einem kompletten Kuchen vor sich, Kaffeeklatsch. Lucy daneben]


Alle (durcheinander):

// Hemdchen/ ohne Kopf/ was ist nass/ über die Schwelle/ grau, nachthell, Finger/ ich will/ mit ihren Fingern/ das Kind hat keinen Kopf/ weiße Scham/ schönes Fleisch/ das Hemdchen ist verrutscht/ weg/ grau//

(unisono):

aus dem offenen Hals kommt kein Blut (Stille)


Lucy:

Es ist so glatt und kalt,  ich bin nur noch Schmerz, das ist gut,

Schmerz und Druck empfinde ich noch,

wie sie mein Handgelenk packen und festhalten, die Hand ist nicht mehr frei,

der Mund mit Paketband versiegelt, ich werde festgehalten,

alles ist kalt,

ich bin ganz ruhig, mich gibt es gar nicht, ich kann alles sehen,

alles beobachten,

es berührt mich nicht,

ich spüre nur noch Schmerz, das ist gut, ich bin Schmerz, ich bin meine Wunde,

ich kann auch so durch die Welt gehen, kann auch so funktionieren,

erster Impuls:

Kuchen backen, Kuchen backen, Sachen packen, Bäckchen schlagen, mir ist kalt,

gut,

ich bin nicht mehr da,

jemand hat mich ganz fest in der Hand, die Haut kann man abstreifen, abschaben,

abkratzen,

es ist schön, geliebt zu werden, ich halte still,

ich schreie nicht,

ich bin ja gar nicht da,

da sind nur die Wunden und der Schmerz, der Schmerz und die Wunden -

das darf ich sein,

Wunden stellen keine Fragen, sie staunen einen nur an,

ich liebe den Geruch des Blutes, es riecht nach Rost,

ich habe kein Alter,

wenn man Schmerzen hat, muss man nicht denken, das ist gut,

ich bin nur im Schmerz, sonst nirgends, ich bin nicht da,

man könnte mir die Arme brechen, ich würde es für Liebe halten,

es tut gut, so festgehalten zu werden, dann kann man sich nicht mehr bewegen, dann hat man keine Möglichkeit zur Flucht, ich bleibe ganz still liegen

und horche,

ich habe Angst,

aber es kommt niemand,

ich bin ganz allein auf der Welt, ich warte auf meinen Mörder,

liege da auf dem Boden und warte, ich will nicht mehr weglaufen,

ich will, dass er es tut, dann ist es vorbei,

aber es kommt niemand, alle sind tot,

ich bin allein im Wald und liege auf dem Weg, ich kann nicht mehr weglaufen.

Soll mich mitnehmen wer will, ich werde nicht schreien,

ich will nur Schmerz spüren,

damit ich nicht mehr denken muss, damit ich weiß, wo ich bin,

damit ich mich nicht verliere,

tu mir weh, bitte, drück meine Handgelenke, dass die Haut schmerzt,

ich habe keine Angst, ich fühle gar nichts,

ein Hexenhaus im Wald, ich funktioniere wunderbar, ich habe keine Gefühle,

ich schau das alles an, als sei es nichts,

ich sitze beim Kaffeeklatsch und proste mir selber mit Tässchen zu, ich habe guten Appetit,

das Messer dringt ganz beiläufig in den Arm,

in den Kaffee kommt Extra-Sahne, weil alles so gut schmeckt, und dass das Tischtuch inzwischen blutrot ist, stört niemanden, bei einer Geburt oder Vergewaltigung fließt ja auch Blut,

und das ist gut, weil es natürlich ist, denn das Blut will raus,

es will ja alles wegschwemmen,

und die Männer haben Angst vor dem Blut, weil sie fürchten, man könne da verbluten. Blut ist ihnen unheimlich,

mir macht es keine Angst,

mir ist nur kalt, wenn das Blut heraus ist, dann ist es gut, wenn es ganz heraus ist,

dann ist man kalt, und dann spürt man nicht mal mehr den Schmerz, die Wunden sagen dann erschrocken:

Oh.

Wo ist das ganze Blut nur hingeflossen?

Die Männer versuchen hektisch sauber zu machen,

das ist lustig zu sehen, wie sie da wischen mit den Tüchern, Putzfrauen, warum sind sie so in Eile?

was verbreiten sie für eine Unruhe?

Ich bin ganz ruhig, und sie haben mit einem Mal Angst, das ist wirklich lustig, ich fühle jetzt nichts mehr,

ich spüre jetzt nichts mehr, ich bin nur noch still und ruhig

und beobachte, und verstehe nicht, warum die anderen es so eilig haben.

Ich bin jetzt wieder warm, ich werde gefüttert,

ich werde vollgestopft mit Essen, das ist gut,

denn wo das Blut heraus ist, muss Nahrung hinein,

bis das Kind dick ist und keiner es mehr lüstern anschaut, ich habe keine Angst,

ich spüre immer die Hand, die meine Handgelenke quetscht, ich schreie nicht,

ich spüre diesen fremden, schweren Druck, ich will wieder Schmerz sein,

dann weiß ich wo ich hingehöre, es tut gut, so gefasst zu werden, es ist ja nur zu meinem Besten,

denn wenn die Arme frei sind zittern sie und schlagen,

so sind sie fest an ihrem Platz und man muss nicht mehr denken.


Frau1:

Wer gefesselt ist, kann nichts dafür, wo er ist, und was mit ihm geschieht,

er kann sich ganz aufs Beobachten verlegen, er muss nicht einmal sprechen,

man braucht ihm gar nicht den Mund zukleben, denn er spricht sowieso kein Wort,

er kann nur schauen, was mit ihm passiert, er ist ja gar nicht dabei,

gefesselt ist ein anderer,

der eigentliche Mensch geht frei daneben umher und schaut interessiert, was sie mit ihm machen.

Er fordert sie sogar auf, die Fesseln noch enger zu ziehen, noch härter zuzupacken,

denn er weiß, dass der Gefesselte das mag, wenn er die Schmerzen spürt,

weil er dann nichts zu denken braucht. Eine Riesenschweinerei ist so ein Blutbad,

und es macht denen Angst, die in fremdem Blut waten müssen, der Ausblutende hat gut Lachen,

es ist ja sein eigenes Blut, das von ihm selbst vergossen wird, die Fremden aber haben Angst vor diesem Blut,

es ist wie Gift,

der Blutende lacht und lacht,

weil er mit seinem Blut die anderen schockiert, DAS haben sie ja nun nicht gewollt,

aber er fragt sich, was der Unterschied dabei ist, im Blut oder im Schmerz des anderen zu baden, er sieht keinen Unterschied,

aber vor dem Schmerz haben die Fremden keine Angst, vor dem Blut schon,

weil der Schmerz nicht schmutzig macht, und still ist, das Blut dagegen schreit,

und zeigt mit dem Finger auf den Mörder.


Lucy:

Zieh noch mal die Schraube fester um mein Handgelenk, mach nur, es tut mir gut,

ich liebe das,

ich will dich spüren,

will, dass du mir wehtust,

du darfst mit mir machen, was du willst, ich lache nur,

ich bin ja nicht dabei, schau,

ich kann sogar spazieren gehen, während du mir hier die Arme festhältst.


Mann 2: Lucy?

Hören Sie mich, Lucy? Wir kennen uns doch. Erinnern Sie sich,

sie waren letzte Woche schon einmal hier. Können Sie aufstehen?

Können Sie ihre Hände bewegen?

Versuchen Sie doch bitte einmal, sich aufzurichten. So, jetzt setzen Sie sich erst einmal.


Frau2

Was haben Sie mit ihr vor?


Mann2:

Das lassen Sie mal meine Sorge sein. (Mann2 führt Lucy ab)


Frau2:

Was soll diese übertriebene Fürsorge? Für dieses...Flittchen.

Sollen die Männer doch ihren Spaß haben. Um die ist es nicht schad.


Mann1:

Warum lassen Sie sie dann hier herein?


Frau2:

Weil ihre Eltern mich dafür bezahlen.

Ihr Vater ist ein angesehener Architekt, noch dazu im Stadtrat. Er sieht’s natürlich nicht gerne, dass seine Tochter so lebt. Wenigstens etwas Warmes zu trinken will er ihr bezahlen.

Mir soll’s recht sein.

Solange sie mir nicht die Leute vergrault. (Mann1 geht)


3.1.

[Im Grünen (Vogelgezwitscher)]


Lucy:

Schön ist es hier.


Mann2:

Wollen Sie ein bisschen spazieren gehen? Oder lieber sitzen?


Lucy:

Gehen. Gehen ist doch gut. (Geht im Kreis, gegen den Uhrzeigersinn, Hände klatschen gegeneinander, Mann2 bleibt daneben stehen)


Mann2:

Tut es noch weh?


Lucy:

Was denn?


Mann2:

Sie sollten ein bisschen zur Ruhe kommen. Haben Sie schon mal Medikamente genommen?


Lucy:

Tabletten? Wofür?


Mann2:

Um ruhiger zu werden.


Lucy:

Muss ich denn ruhiger werden?


Mann2:

Wollen Sie’s denn nicht?


Lucy:

Wozu? (bleibt stehen, STOPP Vogelgezwitscher)

Ruhe ist gefährlich.


Mann2:

Es geht Ihnen nicht gut (Weiter Vogelgezwitscher).


Lucy: Ach.


Mann2:

Was würden Sie sagen, wenn ich Sie in eine Klinik brächte?


Lucy:

Und dann?


Mann2:

Da könnten Sie sich helfen lassen.


Lucy:

Ja. Und dann?


Mann2:

Dann ginge es Ihnen besser.


Lucy:

Und dann?


Mann2:

Dann müssten Sie nicht immer im Kreis herum laufen.


Lucy: Sondern?


Mann2:

Könnten spazieren gehen.


Lucy:

Ich kann auch jetzt spazieren gehen. (geht tangential ab)


Mann2:

Lucy! Warten Sie doch! (geht ihr nach, stoppt, hält inne, geht zurück)


3.2.

[Mann2 kommt wieder herein]


Frau2:

Sie haben mir gar nicht verraten, dass Sie Arzt sind.


Mann2:

Ich habe jetzt wirklich keine Lust, darüber zu reden. Ich bin auch kein Arzt.

Jedenfalls nicht mehr.

Was ich jetzt brauche ist ein Schnaps.


Frau2:

Die Lucy wird so bald nicht wiederkommen, nicht?


Mann2:

Es ist nur zu ihrem eigenen Schutz.


Frau1 (für sich):

Jeder liebt es, Kinder zu töten. Irgendetwas Kleines zu töten,

etwas das viel schwächer ist, als man selbst, nirgendwo kann man sich so mächtig fühlen,

die Angst in den Augen des Mädchens, das man erwürgt, man ist ja gar nicht dabei,

es ist ein Punkt weit außerhalb des eigenen Seins.

Es schreit, es röchelt, es bewegt sich, es ist woanders.

Gewalt zerquetscht einen zappelnden Punkt zwischen den Händen. Der Widerstand ist lustig, man muss lächeln.

Irgendwann ist die Kraft nutzlos. Man ist frei, man hat es getan. (zu Mann2)

Als neulich vor Gericht dieser Kindermörder

beschrieb, mit welcher Lust er das kleine Mädchen erdrosselt hat, da konnte ich sehr gut mitfühlen.

Wahrscheinlich konnte jeder mitfühlen, mit dieser ‚Mörder-Bestie’.

Aber keiner gibt es offen zu.

Warum gehen die Leute sich den Prozess angucken? Natürlich wollen sie wissen, wie es ist, ein Kind zu töten, wie lange es dauert, bis es sich nicht mehr rührt.

Alle wollen wissen, was seine letzten Worte waren.

Jeder beneidet den Mörder um sein Wissen

und hängt ihm an den Lippen, um von diesen Erfahrungen einen Tropfen kosten zu dürfen.

Wir sind dankbar, dass es Menschen gibt, die es für uns tun.

Die es auf sich nehmen, die Mörder-Bestie zu sein.


Mann2:

Das ist doch völlig absurd.

Natürlich fasziniert der Schrecken, aber so etwas wirklich zu tun ist doch was ganz anderes.


Frau1:

Ich frage mich, ob Tiere dazu fähig sind, Genuss am Morden zu empfinden. Menschen lieben es, andere zu quälen, nicht, weil sie die Qualen des Opfers lieben, sondern weil sie es lieben, den eigenen Körper zu verlassen, und ihm bei etwas Unvorstellbarem zuzugucken.


Mann2:

Dazu braucht man nicht zu töten. Man kann auch einfach Sex haben.


Frau1:

Ist das so?


Mann2:

Hätten Sie Lust, sich quälen zu lassen?


Frau1:

Probieren Sie’s aus.

(Mann2 zögert. Frau2 schiebt wortlos einen weiteren Schnaps über die Theke)


Mann2:

Ich würde Sie lieber küssen. (gibt Frau1 einen Kuss;

– Lucy betritt den Raum – öffnet ihr das Hemd, Frau2 starrt, Lucy starrt,

die beiden Küssen sich immer leidenschaftlicher, sinken auf den Boden, beginnen sich zu entkleiden, hören mit einem mal auf, schauen sich an,  setzen sich nebeneinander. Frau2 holt eine Flasche Schnaps. Lucy, eh schon halbnackt, setzt sich dazu. Alle auf dem Boden, trinken.)

Wo kommst du her, Lucy?


Lucy:

Zug. Gleis 3.


Mann2:

Wie immer.


Lucy:

Wer ist das?


Mann2: Eine Frau.

Ich kenne sie auch nicht.


Lucy:

Seid ihr verheiratet?


Mann2: Nein.

(Frau1 steht auf, zieht sich an und geht zur Theke, Lucy legt sich auf den Boden, die Beine breit.)


Mann2:

Was soll das? was machst du da? Hör auf damit, es kotzt mich an.

Geh doch raus, geh mit den anderen spielen, bleib mir endlich vom Leib,

du ekelst mich an.


Lucy:

Schlag mich, wenn du magst. Es tut mir nicht weh.


Mann2:

Warum sollte ich dich dann schlagen? Du bist doch nur ein totes Stück Fleisch.

Ich schlag doch nicht auf einem Stück Fleisch herum. Was soll mir daran Spaß machen?

Mir dir ist überhaupt nichts anzufangen.

Man kann dich höchstens in den Müll geben,

in eine Sondermüllverbrennungsanlage... Geh!

Ab ins Krematorium!


Frau2:

Lucy ist ganz tüchtig in der Küche.

Es stimmt ja nicht, dass sie ganz nutzlos ist. Lucy, komm doch mal her zu mir,

du kannst mir ein bisschen helfen.


Lucy:

Haben meine Eltern schon angerufen?


Frau2: Nein.

Noch nicht.


Mann2:

Ich sagte doch, dass ich keine Lust habe, dich zu schlagen.


Frau2:

Und ich habe heute keine Lust, sie zu füttern.

Lucy, sei so lieb und mach mir schnell den Abwasch, mein Rücken tut weh.

(Mann2 geht)


Frau1:

Auf Wiedersehen.

Ich hasse es, mit Frauen allein zu sein. Es ist so albern.

So unsinnig.

Wenn ein Mann im Raum ist, weiß man wenigstens, für wen man das ganze Theater veranstaltet.

Frauen sind das Erbärmlichste was es gibt.

Es läuft doch immer auf Kindergeburtstag oder Walpurgisnacht hinaus. Eine einzige Zeitverschwendung.


Frau2:

Möchten Sie noch etwas trinken?


Frau1:

Nein danke.


4

[draußen auf der Bank, Mann1 sitzt, Frau1 setzt sich daneben]


Frau1:

Darf ich mich setzen?


Mann1: Bitte.


Frau1:

Es ist kalt heute. Reden Sie, bitte.


Mann1:

Letzten Sommer war ich an einem See.

Ich stand im Wasser, die Füße in den Sand gewühlt, es war ganz still,

nur ein paar Menschen und Enten. Ein kleiner Kopf, weit draußen.

Sehr leichte, frische Luft,

seit langem das erste Mal so etwas wie Atmen möglich.

Ich setzte mich in eine Baumwurzel.

Auf dem Sandgrund lagen dunkle Holzstückchen, ein bisschen Gezweig, zwei, drei grüne Eicheln

es schien, als sei es ihnen sehr wohl in der stillen Unterwasserwelt.

Am Ufer trieben Borkenschiffchen,

das eingerollte Birkenblatt, das vor meinen Füßen vorbeitanzte war der Koffer einer feinen Dame von einem Ozeandampfer, den es übers ganze Meer hierher getrieben hatte,

ich stellte mir vor, es müsse weiße Spitzenunterwäsche darin sein, und ein silbernes Etui mit zierlichem Nagelputzbesteck.

Ein paar Briefe, gebündelt mit blauem Seidenband und ein Foto, sepiabraunes Oval, Herr um die Mitte Dreißig, mit traurigem, fehlfokussiertem Blick.

Wie ich da so saß, fühlte ich, wie der Himmel begann mich zu zerdrücken.

Diese Fülle von Blau.

Dieses unerträgliche Übermaß –

Es gibt keinen Trost.

Auch das Glitzern auf dem See tröstete mich nicht. Es war nicht mal schön.

Aber beruhigend.

Beruhigend wie die Ordnung der Geometrie. Beruhigend, weil ich wusste, dass es nur Wellen waren, Wellen auf Wellen, von Physik choreographiert,

ein Spiel mit Materie, ohne Sinn und Verstand, trostlos,

untröstlich,

des Trostes nicht bedürftig.

Natur kann vielleicht den Trost ersetzen, dachte ich,

weil sie einem vormacht, wie man auch ohne Hoffnung existiert. Ich muss lernen, ohne Hoffnung zu leben.


Frau1:

Dann ist es kein Leben mehr. Aber der Idealzustand.


Mann1: Ein Mond, der Mond,

weißer Mond,

Ich könnte mir die Zunge rausschneiden, oder die Augen ausstechen.

(Frau1 nimmt seinen Hut ab, legt die Hand auf seinen Kopf.)


Mann1:

Ich fühle da nichts.

Aber wenn Sie wollen, können wir jetzt lachen.


Frau1:

Ja, lachen wir.

(Mann1 und Frau1 lachen.)


 Mann1:

Und? Wie hat es sich angefühlt?


Frau1:

Nicht besonders gut.

Aber auch nicht unangenehm. Es soll ja gesund sein.

(Durchsage)


Mann1:

Ich muss los.


Frau2: Musst du?


Mann1:

Ich weiß nicht.

Nein. Ich muss nicht. Jedenfalls nicht sofort.


Frau1:

Du kannst sie doch einmal ein bisschen länger dort liegen lassen, nicht?


Mann1:

Was aber, wenn Hunde kommen, oder Ratten, und Teile wegfressen, bevor ich komme.


Frau1:

Dann fehlt halt ein Stück.

Das wird schon nicht auffallen. Das Mädchen ist ohnehin hinüber. Das sagen doch alle.

Du wirst dich dran gewöhnen müssen, hierzubleiben. Dann bleib doch gleich.

Bleib doch jetzt.

Dann haben die Ratten einen Festtag und du hast es hinter dir.

(verzerrte Stimme von Lucy:)

Dir wird schon noch ein Licht aufgehen, dein Hirn wird in Flammen lodern,

dein Kopf auf tausend Dächern tanzen,

dein Körper in tausend Stücken durch den Nachthimmel explodieren, hurra! ein neues Jahr ein neues Weltall, was soll’s man kann ja umtauschen gehen, egal, wenn das eine nichts ist, wird’s vielleicht das nächste sein,

Umtausch, Warenrückgabe, Wiedergeburt, alles austauschbar, Hüllen, Mäntel, Häute, warum zitterst du so? Ist dir kalt?

Du brauchst kein Mitleid von mir zu erwarten, du.

Man zählt Pulsschläge und Wimpernschläge, Atemzüge, der ganze Organismus besteht aus Gewalt,

Ziehen und Schlagen, Pressen, Drücken, Saugen, Hämmern, Pochen, Stechen, alles Gewalt, wenige Sekunden nur sind Watte, Bandagen, die die Wunden schützen und den Druck nehmen, für Momente.


Mann2 (geht aufgeregt vorbei):

Wo ist Lucy? Haben Sie Lucy gesehen?

(Frau1 und Mann1 reagieren nicht)


Frau1 (zu Mann1):

Was machst du da?


Mann1:

Ich sehe mir die Fahrpläne an.

Ich dachte mir, vielleicht wäre es schön, zu verreisen?


Frau1:

Du hast doch gar kein Geld.


Mann1:

Aber ich kann es mir doch wenigstens vorstellen. Wann hast du das letzte Mal auf einen Zug gewartet?


Frau1:

Ich habe nie auf einen Zug gewartet. Ich habe nur auf dich gewartet.


Mann1: Wieso?

Wer bist du denn?


Frau1: Ich? – (Irritation)

Die Ratten haben sie sicherlich schon aufgefressen. Frisches Hirn lieben sie am meisten.

Nichts Schöneres für eine Rattenschar,

als ein in alle Einzelteile zerlegter, frischer Leichnam.

Selbst wenn du wolltest, gäbe es nicht mehr viel, was du in deinen blauen Sack stecken könntest.


Mann1:

Es ist einerlei.

Du kannst jetzt gehen.


Frau1: Ich weiß. (geht)


(Mann1 bläst ein bisschen Luft in den blauen Plastiksack, lässt ihn dann wieder sinken. Geht in den Warteraum.)


5

(Mann1 geht an einen Tisch, Frau2 schließt die Türen)


Mann1:

Sie machen schon zu?


Frau2:

Ja. Feierabend.


Mann1:

Nein. Bitte. Ich warte noch auf jemanden.


Frau2:

Dann warten Sie. Bitte. Kaffee gibt’s aber nicht mehr.


Mann1:

Und was Kaltes?


Frau2: Schnaps?


Mann1:

Nein. Ja. Doch. Egal was. Kalt.

(Mann1 steht auf, weiß nicht, ob er gehen soll).

Es ist so kalt hier drinnen.


Frau2:

Draußen ist es noch kälter.


Mann1:

Kommt denn kein Zug mehr heute?


Frau2:

Doch, schon.


Mann1: Wann denn?


Frau2:

Ich weiß es nicht genau.


Mann2 (klopft an die Tür, wird noch herein gelassen):

Ich habe Lucy überall gesucht, wo kann Sie denn hin sein?

Dieser Schrei vorhin, das war so schrecklich. So ein schrecklicher Schrei. Ich habe in meinem ganzen Leben...


Frau2:

Sie haben sich das nur eingebildet, hab ich ihnen doch gesagt.

Lucy ist fort, sie hat sich aus der Küche geschlichen, hat sich heimlich davon gemacht.

Sie brauchen nicht nach ihr zu suchen. (Mann1 und Mann2 gucken sich an.)


Mann1 (nimmt seinen Hut ab):

Ich habe keine Ahnung, was ich hier soll.


Frau2:

Wollen Sie etwas essen?


Mann1:

Gibt es Musik? Kann man Musik hier hören?


Frau2:

Musik. Ich höre keine Musik. Ich habe einen Fernseher, soll ich ihn anmachen?


Mann1:

Nein. Ich dachte nur, es hätte vielleicht schön sein können, Musik zu hören. Ich habe früher viel Musik gehört.

Dann nicht mehr.

Obwohl ich mich immer für Musik interessiert habe.

Irgendwann hatte ich nur keine Lust mehr, Musik zu hören. Es reichte mir, zu wissen, was Musik ist.

Dachte ich.

Aber was ist Musik?

Musik ist nur dann Musik, wenn sie gehört wird.

Es gibt kein Wesen der Musik außerhalb ihres Erklingens.

(versucht eine Melodie zu singen, bricht ab)

Lucy existiert nicht mehr. Ich existiere nicht mehr.


(Frau1 kommt herein, geht zu Mann 1 und fordert ihn zum Tanzen auf, er versteht erst nicht, reicht ihr dann doch zögernd die Hand.

Sie beginnen einen Walzer zu tanzen, leise, immer lauter werdend ertönt Musik, darein immer lauter werdend das Geschrei von vorher gemischt, als die Musik auf dem Höhepunkt abreißt, bleibt für wenige Sekunden nur noch das Geschrei:)


Alle (durcheinander):

// Hemdchen/ ohne Kopf/ was ist nass/ über die Schwelle/ grau, nachthell, Finger/ ich will/ mit ihren Fingern/ das Kind hat keinen Kopf/ weiße Scham/ schönes Fleisch/ das Hemdchen ist verrutscht/ weg/ grau//

(unisono):

aus dem offenen Hals kommt kein Blut (Stille)


(Alle setzen sich in Kaffekränzchen-Positionen)


Frau2:

Soll ich den Fernseher anmachen?


Frau1: Ja bitte.

Mann1 (gleichzeitig): Bitte nicht.


(Lucy betritt den Raum)


Frau2:

Lucy! Wie siehst du denn aus!

(geht Lucy entgegen)

So meine Herrschaften, genug amüsiert. Ich schließe.

Wenn Sie warten müssen, dann warten Sie bitte draußen.


(Mann1 starrt Lucy an, Frau1 nimmt Mann1 bei der Hand und zieht ihn aus dem Raum)


Mann2 (zu Lucy): Lucy?

Ist alles in Ordnung?


Lucy:

Ich bin müde.


Frau2:

Raus jetzt, alle raus, Sie auch.

(Mann2 geht, Lucy setzt sich auf einen Stuhl)


Frau2:

Möchtest du was essen? Was trinken?

Magst du schlafen gehen?


Lucy: Schlafen, bitte.


Frau2:

Es war anstrengend heute, nicht?


Lucy: Ja.


Frau2:

Schlaf dich aus, morgen mach ich dir ein gutes Frühstück, und dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.


Lucy: Ja.

(bleibt sitzen)


Frau2:

Da ist übrigens noch etwas Geschirr in der Küche. Wenn du nicht schlafen kannst, kannst du es ja noch wegspülen.

Gute Nacht dann. (Frau 2 geht)


Lucy: Ja.

(Lucy holt einen Teller mit mehreren Stücken Kuchen, stellt ihn vor sich auf den Tisch, isst)

(verzerrte Stimme von Lucy):

Pattern, Pattern, Patt, Patt, Patt,

Plattitüden, Plättgeräusche, Plattmachdampfwalzen,

walzen, zerwalzen, plattwalzen, zerplätten, plättern, splattern, Mann, mach mich flach, bügel mich breit,

setz dich drauf, hau drauf, klopf mich weich,

verknote mir die Arme, setz dich drauf, schnauf, schnauf, wisch mich zewa wisch und weg,

stopf mich in den Papiereimer,

knüll mich, zerreiß mich, schmeiß mich, leck mich und kleb mich auf einen Brief, ab nach Amerika, weit weg übers Meer, dass niemand die Schande sieht,

(Lucy beginnt zu würgen)

verlierst ja schon deine Haare,

die Augen hält es nicht in den Höhlen, Sabber, schaukel dich nicht so hoch, das Schiff schwankt bedenklich,

wir könnten kentern bevor du zu deinem Recht gekommen bist, pass auf, dass das Herz dir nicht unterwegs versagt,

das wäre doch schade, auf dem Weg zur höchsten Lust zu stolpern und sich die Fresse einzuschlagen.


Lucy (erschöpft):

Die Ohren an seinem Kopf sind seltsam,

sie zucken nicht, wenn sie Schreie hören und Wimmern, in die Ohren geht alles brav hinein, wie diktiert,

kleine Lämmerherden sind die Schallwellen,

stürzen sich durch die Ohren in den dunklen Kopfschacht, der sie nicht mehr hergibt.


(Stimme von Frau1):

Hände sind etwas sehr Schönes,

an ihnen erkennt man das Alter und die Kraft eines Menschen, man versteht auch, was der andere zu sagen hat,

wenn man seine Hände kennenlernen darf.

Manche legen anderen die Hände auf, damit sie wieder heil werden,

das ist sehr freundlich, hilfreich und gut.  Andere greifen einem mit der Hand in die Brust,

reißen einem das Herz heraus und tun einen Stein hinein, auch das ist ein freundlicher Akt,

denn wir alle wissen, dass ein warmes Herz im Grunde eine Sache für Kaninchen ist, die lieber tot umfallen, als sich dem Kampf ums Dasein zu stellen. Wir sind ja allesamt keine Kaninchen sondern Menschen,

und eine gewisse Härte braucht’s da schon und auch eine gewisse Kälte,

dass man nicht immer sofort und mit allem mitleiden muss,

Manche Hände meinen es aber auch ganz besonders gut mit uns und mit sich selbst.


Lucy:

Plattklopfen. Draufhauen. Reime schmieden.

Die fremde Stimme wird die eigene Stimme, wenn man ihr glaubt, weil man ihr glauben muss, weil es sonst nichts anderes mehr gibt auf der Welt, in der Welt und unter der Welt,

alles hat sich weggeduckt, lässt sich suchen, wird auf Jahre verschwunden bleiben,

alles entfernte Verwandte, die am Festtag hereinschauen, zur Hochzeit, zur Geburt, zur Beerdigung,

nur das eigene Höschen bleibt als Erinnerung zwischen den Beinen hängen,

eine abgerissen Fahne nach der Revolution, man wischt sich das untergegangene Gesicht, stürzt durch Kandiszuckeraugen

in den Teppich mit den vielen Farben, in jeder kann man sich verlieren,

in jeder Faser sich finden,

Versteckspiel und Suchspiel mit sich selbst, im Teppich, in der Faser, im Geruch,

das Gesicht tief hineingedrückt,

die Hand im Genick, Geknick, Geknack, krank, krank,

Hängen und Würgen, Hecheln und Stechen, guten Abend, gut’ Nacht,

(horcht)

Ich kann nichts mehr hören.